Leseproben

Leseproben aus dem Reisekrimi und Roadmovie

"Highway ins Verderben"

Highway ins Verderben

Auszug aus dem 10. Kapitel

Weglaufen! Einfach umdrehen und weglaufen. Warum war er diesem ersten Impuls nicht gefolgt? Warum stand er da, starrte auf die Toten? Waren sie wirklich tot? Der eine, ein muskulöser Typ mit schwarzen Locken, hatte noch kurz geröchelt, bevor sein Kopf zur Seite kippte. Das Smartphone, mit dem er vermutlich hatte Hilfe holen wollen, war ihm aus der Hand gerutscht. Sascha besaß nur ein altmodisches Tastenhandy. Es war wie ein automatischer Reflex. Dort, wo der jetzt ist, braucht er das Edelteil nicht mehr, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie fremdgesteuert bückte er sich nach dem verlockend glänzenden Teil, hob es auf und steckte es in die Jackentasche. Dem Impuls, auch die Pistole an sich zu nehmen, widerstand Sascha. 

Er musterte den anderen. Obwohl er gekrümmt auf dem Asphalt lag, konnte Sascha erkennen, dass der Mann groß war. Und dass die Kleidung, obwohl blutgetränkt, nicht aus einem Billigkaufhaus stammte. Die Pistole war ihm aus der Hand gefallen. Mit der Linken hielt er noch immer den Umhängegurt einer großen Tasche fest - einer prall gefüllten, dunkelblauen Sporttasche. Sascha atmete tief durch, beugte sich vorsichtig über die Leiche und öffnete ein stückweit den Reißverschluss. Ihm stockte der Atem ...

Auszug aus dem 25. Kapitel
Taschenlampe, Werkzeug, Peilsender - Olaf kontrollierte noch einmal den leichten Rucksack, bevor er ihn schulterte, zog den Reißverschluss der Trainingsjacke hoch und streifte griffige Handschuhe über. Er hatte das Gelände eine ganze Weile beobachtet. Niemand war zu sehen. Zwar brannten rings um das Terminal Lampen, aber das Bürogebäude war finster. 
Jetzt oder nie!, befahl er sich, griff in die Maschen des Zauns und begann, sich hochzuziehen. Es zahlt sich eben aus, dass ich ein regelmäßiges Training absolviere, lobte er sich selbst, denn schon war er oben und auf der anderen Seite. Fast hatte er schon wieder festen Boden unter den Füßen, als ihn ein scharfes Gebell für eine Schrecksekunde innehalten ließ. Vielleicht waren es auch zwei. Auf jeden Fall war er nicht schnell genug wieder nach oben geklettert. Gesehen hatte er den Hund nicht. Aber er spürte ihn. Knurrend hatte sich das Biest in seiner Trainingshose verbissen, zerrte und zog und ließ nicht locker. 
»Verdammter Köter!«, fluchte Olaf. Das Gebell würde gleich die Securities alarmieren. Zum Glück hatte er für derart brenzlige Situationen vorgesorgt. Er schaffte es, sich mit einer Hand am Zaum festzuhalten und mit der anderen in die Jackentasche zu greifen. Mit Schwung warf er ein Würstchen hinter sich in den Hof. »Hol’s dir, du blöder Köter!«, zischte er und zog sich mit letzter Kraft und einer bis in die Kniekehlen gerutschten Hose noch oben. Er schaffte es, auf der anderen Seite wieder herunter, bevor der Hund das Würstchen verschlungen hatte und nun wütend gegen den Zaun sprang. Olaf blieb nichts anderes übrig, als tagsüber wiederzukommen.
Auszug aus Kapitel 31
Nanu? Was macht er jetzt? Olaf beobachtete den Pfeil auf seinem I-Pad, der sich nun in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Er hatte sich, um ungesehen zu bleiben, in einer Seitenstraße versteckt. Olaf zog die Landkarte zurate. Dachte ich mir’s doch. Er will nach Calgary! Olaf wartete noch eine Weile, bevor er den Van startete. Der Pfeil auf dem I-Pad bewegte sich dort, wo der Highway 22 nach Norden abging in östlicher Richtung weiter. 
Aha, er wird den Freeway nehmen, murmelte er. Auch Olaf fuhr in östlicher Richtung weiter. Zufrieden registrierte er, dass der Pfeil tatsächlich dort, wo der Freeway nach Calgary und Edmonton abzweigte, ebenfalls die Richtung änderte. 
Der Peilsender funktionierte zuverlässig. Sein Observierungsobjekt fuhr und fuhr. In gleichmäßigem Tempo und ohne anzuhalten. Längst war es dunkel geworden. Gähnend kämpfte Olaf gegen die stärker werdende Müdigkeit. Das lästige Knurren seines Magens konnte er mit einem Schokoriegel bekämpfen. Zum Teufel, wurde der Kerl nicht müde? Warum steuerte er nicht irgendwo einen Campingplatz an? 
Endlich kündigte ein Schild Calgary an, der Pfeil auf dem I-Pad bewegte sich jetzt deutlich langsamer, änderte ein paarmal die Richtung. Olaf folgte mit gebührendem Abstand. Dann blieb der Pfeil stehen. Wo war er? Hatte sich dieser Sascha verfahren? Langsam fuhr Olaf weiter, - bis zu einem Tor. B&B Haulage Company stand auf dem Schild - und auf dem Truck, der dort parkte. Genau dort wo der Pfeil auf Olafs I-Pad auf der Stelle blinkte. 

Weiterer Auszug aus Kapitel 31:
Auf der Schotterpiste der Forestry Trunk Road hatten sich brutale Waschbrettbuckel gebildet. Wenn Tanjas Gezeter nicht wäre, könnte er die Strecke trotz des Gerüttels genießen. Auch wenn sie nicht ganz so einsam war, wie er ursprünglich erwartet hatte. Mitunter düste ein Pickup-Camper vorbei oder ein gewaltiger Holzlaster zog eine riesige Staubfahne hinter sich her. Doch die wilde Landschaft entschädigte vollauf für die raue Straße.

 »Hast Du nicht kapiert? Ich will in eine anständige Stadt! In ein Hotel! In ein Restaurant! Ich will meinen Anteil vom Geld! Ich fahr nicht mir dir nach Alaska!«

Nein, fährst du wirklich nicht! So lange ertrag ich dich nicht mehr! Statt einer Antwort trat Sascha abrupt auf die Bremse. Mit einem brutalen Rumpeln kam das Wohnmobil auf den Waschbrettbuckeln zum Stehen.

»He, was soll das?«

»Wir haben einen Platten!«

»Auch das noch! Das hast du jetzt davon! Kein normaler Mensch fährt auf solchen Schotterstraßen rum!«

»Steig aus, ich muss das Wohnmobil aufbocken und den Reifen wechseln!«

Schimpfend kletterte Tanja aus dem Fahrerhaus. »Hoffentlich dauert das nicht zu lange«, keifte sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob du das überhaupt hinkriegst! Das geht mir alles derart auf die Nerven!« Wütend knallte sie die Beifahrertür zu.

»Jetzt kannst du zu Fuß nach Südamerika marschieren!«, rief ihr Sascha noch zu, bevor er das Gaspedal durchtrat.

»Neeeiiiin! Du Scheißkerl! Du Hurensohn! Du Mistkerl! Komm zurück, verdammt nochmal!« Fassungslos starrte Tanja auf die Staubwolke, die das Wohnmobil hinterließ. »Das ist nicht dein Ernst!«, schrie sie ihm hinterher. »Du kannst mich hier nicht so einfach in der Wildnis aussetzen! Ohne Proviant und ohne Wasser! Ohne Pass! Ohne Geld! Du Mistkerl, du kannst nicht mit meinem Anteil abhauen!«

»Autsch, verflucht!« Tanja rieb sich den Knöchel, der langsam aber stetig anschwoll. Sie hatte nicht gezählt, wie oft sie mit den hohen, dünnen Absätzen ihrer Riemchensandaletten auf dem groben Schotter umgeknickt war. Sie hatte keine Ahnung, wie lang sie schon so vor sich hin stolperte. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Die Zunge klebte ihr vor Durst am Gaumen. Kanada - von wegen Eis und Schnee - längst war es heiß geworden, brannte die Sonne erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, immer in der Hoffnung, dass Sascha hinter der nächsten Kurve auf sie wartete. Aber er wartete auch nicht nach der übernächsten Kurve. 


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