Auszug aus dem 10. Kapitel
Weglaufen! Einfach umdrehen und weglaufen. Warum war er diesem ersten Impuls nicht gefolgt? Warum stand er da, starrte auf die Toten? Waren sie wirklich tot? Der eine, ein muskulöser Typ mit schwarzen Locken, hatte noch kurz geröchelt, bevor sein Kopf zur Seite kippte. Das Smartphone, mit dem er vermutlich hatte Hilfe holen wollen, war ihm aus der Hand gerutscht. Sascha besaß nur ein altmodisches Tastenhandy. Es war wie ein automatischer Reflex. Dort, wo der jetzt ist, braucht er das Edelteil nicht mehr, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie fremdgesteuert bückte er sich nach dem verlockend glänzenden Teil, hob es auf und steckte es in die Jackentasche. Dem Impuls, auch die Pistole an sich zu nehmen, widerstand Sascha.
Er musterte den anderen. Obwohl er gekrümmt auf dem Asphalt lag, konnte Sascha erkennen, dass der Mann groß war. Und dass die Kleidung, obwohl blutgetränkt, nicht aus einem Billigkaufhaus stammte. Die Pistole war ihm aus der Hand gefallen. Mit der Linken hielt er noch immer den Umhängegurt einer großen Tasche fest - einer prall gefüllten, dunkelblauen Sporttasche. Sascha atmete tief durch, beugte sich vorsichtig über die Leiche und öffnete ein stückweit den Reißverschluss. Ihm stockte der Atem ...
Weiterer Auszug aus Kapitel 31:
Auf der Schotterpiste der Forestry Trunk Road hatten sich brutale Waschbrettbuckel gebildet. Wenn Tanjas Gezeter nicht wäre, könnte er die Strecke trotz des Gerüttels genießen. Auch wenn sie nicht ganz so einsam war, wie er ursprünglich erwartet hatte. Mitunter düste ein Pickup-Camper vorbei oder ein gewaltiger Holzlaster zog eine riesige Staubfahne hinter sich her. Doch die wilde Landschaft entschädigte vollauf für die raue Straße.
»Hast Du nicht kapiert? Ich will in eine anständige Stadt! In ein Hotel! In ein Restaurant! Ich will meinen Anteil vom Geld! Ich fahr nicht mir dir nach Alaska!«
Nein, fährst du wirklich nicht! So lange ertrag ich dich nicht mehr! Statt einer Antwort trat Sascha abrupt auf die Bremse. Mit einem brutalen Rumpeln kam das Wohnmobil auf den Waschbrettbuckeln zum Stehen.
»He, was soll das?«
»Wir haben einen Platten!«
»Auch das noch! Das hast du jetzt davon! Kein normaler Mensch fährt auf solchen Schotterstraßen rum!«
»Steig aus, ich muss das Wohnmobil aufbocken und den Reifen wechseln!«
Schimpfend kletterte Tanja aus dem Fahrerhaus. »Hoffentlich dauert das nicht zu lange«, keifte sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob du das überhaupt hinkriegst! Das geht mir alles derart auf die Nerven!« Wütend knallte sie die Beifahrertür zu.
»Jetzt kannst du zu Fuß nach Südamerika marschieren!«, rief ihr Sascha noch zu, bevor er das Gaspedal durchtrat.
»Neeeiiiin! Du Scheißkerl! Du Hurensohn! Du Mistkerl! Komm zurück, verdammt nochmal!« Fassungslos starrte Tanja auf die Staubwolke, die das Wohnmobil hinterließ. »Das ist nicht dein Ernst!«, schrie sie ihm hinterher. »Du kannst mich hier nicht so einfach in der Wildnis aussetzen! Ohne Proviant und ohne Wasser! Ohne Pass! Ohne Geld! Du Mistkerl, du kannst nicht mit meinem Anteil abhauen!«
»Autsch, verflucht!« Tanja rieb sich den Knöchel, der langsam aber stetig anschwoll. Sie hatte nicht gezählt, wie oft sie mit den hohen, dünnen Absätzen ihrer Riemchensandaletten auf dem groben Schotter umgeknickt war. Sie hatte keine Ahnung, wie lang sie schon so vor sich hin stolperte. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Die Zunge klebte ihr vor Durst am Gaumen. Kanada - von wegen Eis und Schnee - längst war es heiß geworden, brannte die Sonne erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, immer in der Hoffnung, dass Sascha hinter der nächsten Kurve auf sie wartete. Aber er wartete auch nicht nach der übernächsten Kurve.