Leseproben Tödliches Erbe

»TÖDLICHES ERBE – EIN AUSTRALIEN-REISEKRIMI«

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Prolog

»Kann ich Ihnen noch etwas bringen?« Die Bedienung sah ihm tief in die Augen, beugte sich über den Tisch, um das Kaffeegeschirr abzutragen, und gewährte ihm dabei einen großzügigen Einblick in ihr offenherziges Dekolleté. Ihr Lächeln war vielversprechend, genau wie das, was ihr knapper kurzer Rock mehr ent- als verhüllte.

Er lehnte dankend ab und sie verstand, dass damit nicht nur Kuchen oder Getränke gemeint waren. Normalerweise wäre er auf den Flirtversuch sofort angesprungen, aber er konnte jetzt keine Komplikationen gebrauchen. 

Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach, hatte seine Mutter immer gesagt. Der Spatz, den er bereits in der Hand hielt, war zwar ein recht dicker Spatz, aber mit dem Vögelchen wollte er sich nicht begnügen. Er hatte vor, geduldig darauf zu warten, dass die Taube vom Dach geflogen kam; war es doch eine ausnehmend fette Taube, die er auszunehmen und zu rupfen beabsichtigte. 

Hätte er nicht heute Morgen eine beunruhigende SMS erhalten, könnte er wesentlich gelassener warten. Stattdessen war es jetzt erforderlich, äußerste Vorsicht walten zu lassen. 

Er begnügte sich damit, die Nachmittagssonne auf der Hotelterrasse zu genießen, ließ noch einmal den Blick über den Hafen und das Opernhaus schweifen. Sydney gefiel ihm, aber er sollte besser weiterziehen. Vielleicht nach Brisbane oder noch weiter nach Cairns. Außerdem fand er es sicherer, zukünftig die Hotels zu meiden. Anmelden mit dem Reisepass schien ihm ab jetzt gefährlich und die falschen Papiere wollte er lieber sparsam einsetzen. Es war Zeit, sich nach einem bequemen Wohnmobil umzusehen. Er hatte vor, unauffällig zu bleiben und keine Aufmerksamkeit zu erregen. Mehr war im Augenblick nicht machbar. Alles lag jetzt an ihr, - dass sie die Nerven behielt, keine Fehler beging und genauestens seine Anweisungen befolgte.

Auszug aus Kapitel 10

... Fast wäre sie ohne Eis wieder gegangen. Geduldig warten gehörte nicht zu Helgas Stärken. Aber jetzt stand nur noch ein Mann vor ihr. Er orderte zwei Becher mit Erdbeere, Mango, Schoko und Stracciatella. Seine Stimme kam ihr irgendwie bekannt vor, sie wusste nur nicht woher. Etwas irritierte sie. Jetzt sah sie ihn im Profil. Er trug einen großen Buschhut, eine dunkle Sonnenbrille und hatte einen Bart. Nein, sie musste sich getäuscht haben. Den kannte sie wohl doch nicht. 

Der Eisverkäufer stellte die Becher auf der Theke ab, der Bartträger griff in die linke Hosentasche, zückte den Geldbeutel und reichte mit der rechten Hand einen Geldschein über die Theke.

Wie elektrisiert starrte Helga auf diese Hand. Die Hand, die damals so oft bei ihr Unterschriften geleistet hatte. Sie kannte diese Hand. Genauer gesagt erkannte sie das charakteristische Mal auf dieser Hand. Ein großes rotbraunes Dreieck. Von der Spitze zwischen Daumen und Zeigefinger zog es sich fast bis zum Handgelenk. Jachnik! Es war seine Stimme. Natürlich! Neben dem veränderten Aussehen hatte sie auch irritiert, dass er Englisch gesprochen hatte. Sie sah ihm nach, wie er zu einem der vorderen Tischchen ging, an dem eine Frau saß. Sie trug einen breitrandigen Strohhut und eine Sonnenbrille. Sollte das am Ende die Brandmüller sein?

Auszug aus Kapitel 11

Auf dem kleinen Campingplatz standen inzwischen zwei weitere Wohnmobile. Ein australischer Van und ein Mobil mit deutschem Kennzeichen. Die verflixten Brombachers! Vermutlich waren sie auf einem der Pfade durch den Wald unterwegs. Er musste die endlich loswerden! Wer weiß wie lange die noch vorhatten, hier in ‚Australien herumzukurven. Warum nicht gleich dafür sorgen, dass sie ihm zukünftig nicht mehr in die Quere kamen? Ohne lange zu zögern, holte er das Bordwerkzeug aus dem Wohnmobil. 

Kurz entschlossen setzte er den Radmutterschlüssel an, um am Camper der Brombachers die Muttern des rechten Vorderrads zu lockern. Da tippte ihm jemand auf die Schulter:

»Hey Kumpel, mit dem mickerigen Stängelchen, das du da in der Hand hast, kriegst du die Schrauben nie auf!«

Erschrocken fuhr er herum. Hinter ihm stand ein Australier. Ein wahrer Kleiderschrank von einem Mann. Er hielt ihm ein Radkreuz hin: »Hier, nimm das. So was sollte man immer dabei haben. Besonders auf ungeteerten Straßen hast du schnell mal nen Platten gefahren! Erst recht, wenn ihr dann raus ins Outback fahrt. Ihr seid hier nicht in den dicht besiedelten Städten!«

Augenblicklich hatte sich Hanno wieder gefangen: »Oh, vielen Dank!« Er nahm das Radkreuz und zog die Muttern wieder fest. »Ich werde mir gleich morgen in Cairns eines besorgen!«, erklärte er dem hilfsbereiten Aussie, als er das Werkzeug zurückgab. Dann hatte er es eilig, ging schnellen Schrittes auf sein eigenes Wohnmobil zu und startete den Motor. 

Der Mann mit dem Radkreuz sah ihm erstaunt nach. »Was sollte das denn?«, murmelte er. Im nächsten Moment wurde ihm klar, dass er sich das Kennzeichen hätte merken müssen. Dass es eine Queensland-Autonummer war, hatte er aber noch erkennen können.

Wenig später kamen Helga und Jürgen Brombacher gut gelaunt zu ihrem Wohnmobil zurück. Davor hockte ein Australier auf einem Campingstuhl. Er hielt ein Radkreuz in der Hand und empfing sie mit den Worten: »Ihr solltet zuerst alle Radmuttern kontrollieren und dann zur Polizei gehen!«

Während sich Helga und Jürgen schockiert anhörten, was der aufmerksame und hilfsbereite Mann zu berichten hatte, hielt Jachnik auf einem abgelegenen Parkplatz an und tauschte seine Queenland-Nummer gegen ein vorsorglich gestohlenes Kennzeichen aus West Australien.

Auszug aus Kapitel 12
Nach dem letzten Gebäude in der Forest Lane geht es noch 300 Meter auf der ungeteerten Straße in den Busch bis zum Haus, hatte Ian Roberts am Telefon erklärt. Jachnik folgte der holprigen Piste, die vor einem heruntergekommenen Schuppen endete. War diese Hütte das Haus? Er parkte das Wohnmobil neben einem verrosteten Pick-up und sah sich um. In einem eingezäunten Verschlag gackerten ein paar Hühner, ein struppiger, brauner Köter, der daneben angekettet war, ließ ein drohendes Knurren hören. 

Mit einem Quietschen öffnete sich die Fliegengittertür des Schuppens. 

»Guten Tag, ich bin Hanno. Wir haben vorhin telefoniert.«

»Okay Kumpel, ich bin Ian.« Ian grinste von einem Ohr zum anderen und legte dabei ein paar Zahnlücken und schwarze Stummel frei. Er zog die drei Nummern zu weite Hose, die an ausgeleierten Hosenträgern hing, ein Stück in die Höhe und stopfte das graue Unterhemd, das herauslugte in den Bund zurück. »Komm ins Haus!«, forderte er seinen Besucher auf, während er sich ausgiebig am Bauch kratzte.

Hanno folgte Ian ins Innere des Schuppens, der nicht nur mit einem durchgesessenen Sofa und einem Campingkocher möbliert war, sondern darüber hinaus auch als Werkstatt diente. Und nicht nur das. Selbst das, womit Ian Roberts handelte, bewahrte er hier auf. 

»Wie ich sehe, konnten Sie mir das, was ich benötige, besorgen!«

»Aber klar doch Kumpel, sofern Sie das dabei haben, was ich benötige!«, antwortete er und machte eine reibende Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. 

Hanno zog ein Bündel Scheine aus der Hosentasche, woraufhin Ians Grinsen noch breiter wurde. 

Eine Stunde später verstaute Jachnik eine kleine, unscheinbare Holzkiste im Außenstauraum des Campers.

»Denk dran«, mahnte Ian zum Abschied, »fahr nicht unnötig lang damit rum!«

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